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Knud Karup
 
 
literaturlabor 09.09.2002
 
Brackiges klares Wasser
für Wolf Biermann
 
und in ein Abseits wirklicher Geschichte hingesprochen

Du magst ja Deinen leichten, schwer Deinen Athem spüren
und beschreiben, wie er vergeht und Deinen Herzschlag unvergessen
+++im Gedächtnis wahren
wie Du den ja freundlichen Nachbarn und Spitzel beobachtetest beim
+++Laubharken, einem unschuldigen deutschen Tun
mag ja sein, so aber hat er die Pforte des Hauses in seinem wässrigen
+++Auge, bemerkst Du wissend, und milde lächelnd
ein altgewordener Mann, auch er, er weiß es doch, grau
und Du ja stehst hinter dem Fenster, so
und Du, Du machst die Freunde aufmerksam darauf auf das
wirklich er ist das doch, ja, der lachend ernst
wie er sich gewissenhaft, aber ja doch, und unter Deinem wachen und
+++ Deinem hellerem Blicken sich wissend sicher
die Autonummern aufnotiert, der Freunde hier auf einem weißen Blatt
+++Papier,
auf einem weißen Blatt Papier, wie Du für die Gedichte benutzt, so
+++billig war Papier in diesem Lande, nicht wie heute die Rückseite
+++beschreibend, der diversen maschinellen Anschreiben, die sich
+++jetzt täglich in Deinem Briefkasten finden
und Du magst es vermerken, wie Du laut in den Raum gefragt hast
+++hinter dem Fenster, in Deiner ganzen Bewußtheit
"Na, Freunde, wer beobachtet hier denn wen nun und mit
+++schmutzigerem Blick, wer, wen? Und das ist hier die Frage
+++wer gibt den Hamlet sich, nun, also?"
und die Freunde lachten betreten und leise dazu so so,
wie Du es Dir gedacht hast zuvor, ein so trauriger Scherz, das,
+++ist, nicht wahr, auch das Wort ist notiert
und ich schicke Dir gewidmet diesen Text rum, worin schon dieser
+++Dreck sich einschreibt
wie so genau eine Utopie täglich in Handlungen zerfällt, sie wird
+++untergehen
trotz aller meiner ja recht intimen Detailkenntnis des Ablaufes, der
+++mich doch immer wieder überrascht hat so unvorhersehbar,
aber, bei aller Tragik, nein, dieser Text hat nicht das Athmen, hat er
+++nicht, der, einer ganzen und großen Geschichte, nicht wahr, hat
+++er nicht, ist doch nur wahr, und bis jetzt
Und Kismet. So ist es gekommen. Jetzt Und hoch jetzt
die Tassen, hier
Freuen wir uns doch, das wir leben und leiden unter diesem Verhältnis
+++nicht Hungers, bei aller täglicher Besorgnis, das nicht, in der
+++wir uns nun nicht erschöpfen, alltäglich, so ist es doch
+++gedacht, die wir ja doch haben
und vom großen Niemand ist sie erdacht, Niemand, in dessen irrem
+++Schädel sich diese ganze Vorstellung, diese Schmiere, wie
+++geschichtslos, ja, sich abspielen mag, die wievielte Vorstellung ist
+++das heute, jetzt, weiß keiner das hier, soetwas, eigentlich schade,
+++finde ich, und ich lächle grimmig, muß ich mir das denn
+++mitansehen, die halbe Tekkno-Nation und die Kampfsäufer-
+++Generationen bei den Auslandseinsätzen in den ja zensieren
+++Fernsehausschnitten und zusehen, die zu uns gelangen, das hat
+++mehr ja erfrischendes Blut, finde ich und ich kann jetzt lachen
+++und Du doch auch, und das ist eine Frage an Dich und die steht
+++im Raume, und der ist wirklich jetzt offen, sieh mal so, frisch
+++frisiert grau in der ersten Reihe, die trauernden Muttis, so artig,
+++und der Kanzler, medienbewußt, wenn der Bischof die toten
+++Söhne, heimgeflogen in Plastesäcken beim Gottesdienst segnet,
+++direkt übertragen, ins Leben, unserem Alltag
und die Kamera fängt von der Empore das runterhängende bunte
+++Protesttransparent sich ein, und das geht in die Nachrichten rein,
+++ein Gegenpunkt, so bunt, wirklich keiner hier ist für diesen
+++Krieg, plural, das, das, und das, das sehen wir, so, ja
 
 
Dies ist der Beginn einer neuen Zeitrechnung
 
Am Abend des Tages, als der Angriff auf das World Trade Center erfolgte
Am Abend des 11. Septembers 2001
ging ich in Hamburg über die Reeperbahn und sah die vergnügungssüchtigen
++++++++Menschen durch den Regen strömen, mir entgegen
++++++++und ich dachte, muß ich jetzt, soll ich jetzt hier
++++++++mich hinstellen und schreien
Wahrlich, ich sage euch, sowas, wahrlich, schreien
Der Weltkrieg der 1ten gegen die 3te Welt ist längst im Gange
Die Jugoslavisierung hat die Metropolen der Welt erreicht
Keine Stadt, kein Atomkraftwerk, kein Kindergarten, kein Krankenhaus ist noch

++++++++sicher
Wie bist Du drauf, Kameramann, wenn Du in Hebron oder Jerusalem
++++++++jubelnde palästinensische Kinder aufnimmst: Im Kasten, das
geht um
++++++++die Welt, das verkaufen wir
Und Du weißt, die Aufnahmen werde gegen die riesige
++++++++Staubwolke gegengeschnitten, die Manhattan verdeckt
Und das herunterbrechende Trade Center
Und zusammengeschnitten ergibt dies ein apokalyptisches, ein prophetisches
++++++++Feindbild
Dazu in Rückschau ein Flugzeug, wie es sich in den Turm des World Trade
++++++++Centers schneidet, Zeitlupe
Und Menschen, die von dem Hochhaus springern, mehrere hundert Meter
++++++++hinab, in einen sicheren Tod hinab, zappelnd, rudernd mit den
Armen
Dies ist der Beginn einer neuen Zeitrechnung, so sagt ein NATO Beamter in
++++++++Brüssel, im Fernsehen
Aber mit jeden durch Mangelernährung gestorbenen Kind dieser Erde
++++++++beginnt eine neue Zeitrechnung
Wird die amerikanische Regierung zurückschlagen
Sie wird es: präventive Terrorismusbekämpfung
Jedes an Unterernährung gestorbene Kind in der 3ten Welt verändert das
++++++++Gesicht dieser Erde
Und steckt nicht in jedem von uns so ein kleiner Terrorist, der es den
++++++++Amerikanern gönnt, den Brokern, den Rechtsanwälten, Militärs?
Nein
Die Jugoslavisierung hat die Metropolen der Welt eingeholt
Auch das ist nicht neu. Aber kommen die kalten Mörder aus der 3ten Welt?
Die Reeperbahn ist voller vergnügungssüchtiger Menschen
Sarajevo war voll froher Menschen, die ihren kleinen Geschäften nachgingen
Und die abends die Cafes und Boulevards füllten
Ich habe einen Auftritt im MoJo, und noch formt sich diese erste Antwort in
mir
Es ist noch zu früh, sie vorzutragen
Und ich werde mich, werde meine Betroffenheit hinter der Zeile verstecken
Dies ist der Beginn einer neuen Zeitrechnung - die ich im Fernsehern gehört
++++++++habe
Und die nicht stimmt, die lügt, denn Jugoslavisierung hat längst die
Metropolen
++++++++der 1ten Welt erreicht. Während andere schon über die
Unsicherheit der
++++++++Atomkraftwerke sprechen, die den Strom liefern für den PC, auf
dem
++++++++ich diesen Text tippen werde, schweige ich, noch
der Weltkrieg der 1ten gegen die 3te Welt ist längst im Gange. Und
der Krieg der 1ten Welt gegen die Natur dieses Planeten. Ich werde von der
Bühne gehen im MoJo nicht ohne Beifall, obwohl ich was Ernstes lesen werde
++++++++ein Gedicht über den Tod, für das ich zu jung wirke im
Bühnenoutfit
Dann, wieder auf der Reeperbahn, gehe ich durch den Regen und durch die
++++++++entgegenkommenden Menschen als seien sie lebendige Masken
++++++++bewegte Schemen
die Worte zerfallen ... auf der Zunge wie modrige Pilze, ja, Hofmansthal, ja
und ich sehe die zusammenbrechenden Türme, den Mythos, blind
sind die Bilder stärker als alle Worte?
auf der Heimfahrt im Zug erkläre ich einigen Hongkongchinesen, die die
++++++++Fernsehbilder sahen, aber den deutschen Kommentar nicht
verstanden
++++++++was geschehen ist
Sie dachten erst, sagten sie, sie sähen einen Film, ich, nickte ich, ich sehe
noch
++++++++immer einen Film
Und ich versuchte einer süßen Chinesin beizubringen, wie man akzentfrei auf
++++++++Deutsch: Ich liebe dich - sagt. Entschuldigen Sie. Ein Bier.
Bitte
++++++++Danke. Ich bin aus Taiwan
 
 
literaturlabor 01.09.2002
 
Gedicht
 
Klar wie ein Born, ein Quell nur ist, erdentsprungen und so ursprünglich, ist
dieses Wasser, irre ich, ab, irre ich ab, nein, führt der, dieser Brunnen
giftiges, Wasser, giftiges Wasser, ist es trübe, ist es klar, so, wie es ist,
vergiftet, und ich sehe nicht durch, rede ich trüb, und rede ich klar, sehe
ich doch hindurch, geklärt oder eingetrübt, vom Blut eingetrübt, vielem, dem
Blut, gelangt in das Wasser, meinem vielen Blute, womöglich, und, ich denke,
den Quell klar vor dem Auge mir, wie in einen Traum an einem sonnigen Tage
mittags lind, wenn es heiß ist, wenn da eine Wunde wäre, müßte ich sie doch
spüren, so denke ich stille und mir, und es ist stille nun, bis auf das
fließende Wasser, das Wasser nur, es scheint mir ganz klar der Erden
entsprungen zu ein so vor meinen Auge, das es sieht, mir, und ich verspüre
keine Wunde, auch keine Verwundung, vernarbt, auch nicht im Traume wild so,
ist das verständlich, oder in den Oberflachen meiner Gedanken oder darunter,
wo Dein Unbewustes sich ordnet, da, sich, und die Natur, die beseelte,
erscheint, ich bin doch nicht wirklich, in keiner Wirklichkeit auch nur tot,
Tot, nein, und diese Finger hier, die, die, die tippen das ja doch auch ein,
in den PC, diese Finger mir tippen es ein und es erscheint jetzt auf dem
Bildschirm hier und da und es ist in meiner Wirklichkeit, richtig, und
wirklich, nein, kein so hoppla, und so, und hier bin ich, und in jeder meinen
vielen Wirklichkeiten ist es so da und Du sagst es ja auch, also das Wasser,
wie es der Erde entspringt, es ist nicht trübe, in keinem
+++Bilde ohne den Wiederspruch darin ist es trübe so
sage ich, und man kann es sehen und man liest es auch richtig ruhig
Buchstab für Buchstabe und mir ist doch zu folgen jetzt, also, in die
+++Bilder
ohne ein Sterben und Wunden und ohne Schmerzen und ohne viel
+++Blut darin, das ist das Wasser in Deinem Tun Dir, sicher Dir und
+++versichert Dir, in Dir nämlich, ganz Innen da, Du
+++selbstbestimmt, so wie ich, selbstbestimmt und Quell, und Born
und nun schweige, und schweig, denn es ist erst der Anfang von dem,
+++diesem, was nun werden soll aus Dir, wie erdentsprungen, so, aus
+++Dir, klar, fließend ruhig heiter gelassen dahin, wie Wasser,
+++Quellwasser, wie der Born
Und das ist doch klar
und mein Wort
das ich
Dir
gebe
in
die
H
ä
n
d
e,
Dir
.
Genau
so
und das ist
es Steh auf und geh Deines Weges, klar vor Dir, nun, krumm und gerade
immerzu, immerzu nur
So sprach zu mir ich, oder sprach es, der mich führt oder nicht führt, leise
+++und klar dahin meiner Wege, krumm und gerade, wie Deine


+++ +++ +++Du
krumm zugleich und gerade zugleich, so wie das Wasser der Quelle,
+++klar dahin gehend nur, nicht: Fließend so, und das nun ist unsere,
+++das ist die Natur, und die leben wir, Du und ich, ja
 
 
August
 
Da war diese Lauf - Spinne auf meinem Arm
Und da war eine Ameise, die
wieder und wieder einen Grashalm runter und raufkroch
Gegen Abend kamen leise surrend die elenden Mücken
Algen klebten in Deinem Haar
Und eine Wespe flog immerzu umher
Libellen sahen uns neugierig zu
Die Sonne brannte, die Pappeln zitterten laut
Vögel sangen und wir sagten nicht viel
die Wasser -Vogel aber schrien unermüdlich
es war ein Tag Anfang August und
der roch schon nach Herbst
aber jedes Wort stimmte
Du ekelst Dich vor Spinnen
und Du magst keine Insekten
auch die Libelle ist ein unheimliches Wesen
vielleicht von einem anderen Planeten
ein kleines Raumschiff mit grünen Männchen darin
und steht bizarr in der Luft
Ameisen kleben in der weichen Butter
die Wespe paddelt im Wein
und Du fühltest Dich beobachtet, ja, beobachtet
da steht ein Bauer hinterm Busch mit Fernglas
Ein Bauer. Hallo, Bauer, lachte ich, winkte
und warf Deinen Slip in die Kletten