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lauter niemand - bio - prosa - lyrik - poetik |
2020 |
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Nora Sauer |
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Frieda -Texte (Zyklus 2018/19) Auszug |
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Der Katalog |
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Sie schauen sie an, sie schauen auf ihre kurzen Fingernägel, sie betrachten die Fingernägel als ein Symptom, als ein dysfunktionales Mittel zu Bekämpfung von Unruhe.
Die betrachten ihre Seele. Als sie ein Kind war, dachte sie ihre Seele würde 8 Gramm wiegen.
Doch die beschreiben ihre Seele, sie beschreiben ihre Eigenschaften, sie machen Haken in einer Liste, Haken für von der Norm abweichende Eigenschaften.
Sie betrachtet sich gerne im Spiegel und denkt dabei an die Vorstellung von 8 Gramm, die sich in ihr wiederfinden. Die haben einen Namen, es sind Ärzte. Die Ärzte verordnen Pillen, doch mehr verorten sie sie, sie hat nämlich auch einen Namen: Frieda. Sie verschließen Türen und sprechen über Krankheiten, die im Katalog stehen.
Gerne würde Frieda aus dem Katalog Eigenschaften bestellen. Doch der Katalog enthält nur Seltsames. Der Arzt verschließt die Tür vor der freien Themenauswahl. Die Ortungsfunktion ist ausgeschaltet. Frieda kann nicht entscheiden welcher Ort ihr Ort sein darf, denn sie sitzt auf dem Stuhl und betrachtet den Begriff. Er besteht aus zwei Worten.
Die Worte sind Begriffe, die Ortung innerhalb eines unsichtbaren Gebäudes ermöglichen, doch die Wirkung der zwei Worte hat Auswirkungen auf den Zustand des physischen Raums indem sich Frieda befindet.
8 Gramm sind zu viel, um sie auf zwei Worte herunter zu brechen findet Frieda, die Worte wiegen schwer in dem nicht Beschreibbaren etwas des Weißen Raums.
Würden sie wiegen? Würden sie erzählen können überstrahlende Augen?
Die schauen auf ihre Augen, schauen auf ihren Mund und ordnen, sagen dass da alles 64 Kilogramm wiegt und nicht unabhängig voneinander zu betrachten sei. Frieda kaut Fingernägel und guckt die an im weißen Raum, der Computer gibt Einblick in den virtuellen Katalog über Frieda.
Frieda bleibt und schaut auf zwei Worte. Frieda steht auf, hört noch das Tippen der Tastatur des Computers und gibt den zwei Worten 0,1 Milligramm Gewicht.
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Der Flur |
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Er fordert sie auf, sie folgt der Aufforderung, nicht stehen zu bleiben, und bewegt ihre Beine, tritt langsam auf den gelben Linoleumboden, jedem Schritt folgt ein weiterer Schritt, hinein in das Innere des Gebäudes. Sie bemerkt, dass das Gebäude einer sichtbaren Ordnung folgt, rote, orange und grüne Fußstapfen zeigen Wege, Wege vorbei an halbverschlossenen Türen, an ihr vorbei rauschen, die kaum erkennbaren Gesichter von Gestalten der zweigeteilten Ordnung, während die einen weiß Gekleideten durch die Flure hin- und herschreiten und Tür öffnen, treten die anderen ein und aus, sitzen, allein oder zu zweit auf Bänken, sie schweigen und hören auf die unregelmäßigen Lautsprecheransagen, von Namen. Sie blickt sich um teilnahmslose Gesichter, wechseln sich ab mit bangender Mimik und sichtbarer Erleichterung. Ein seltsamer Ort, sie entscheidet sich abermals ihm nicht zu folgen, sie läuft den grünen Fußstapfen hinterher, doch vor ihr eröffnen sich weitere Tür, eine schwer Metalltür versperrt den Weg. Schreie folgen aus den verschlossenen Türen, sie kehrt um und sieht wie er wartet. |
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Tastatur |
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Sie betrachten sie, sie betrachtet die Tastatur, sie hört das unregelmäßige Aufkommen der einzelnen Finger auf den Tasten, jede Taste produziert ein Zeichen, die Zeichen ergeben Worte, Worte, die beschreiben, beschreiben wie sie ist. Frieda verschließt ihr Augen, um nicht sehen zu müssen welche Worte das skizzieren was sie von sich gibt. Sie erzählt. Was sie erzählt ergibt ein rasches Bild, ein Bild welches es zu interpretieren gilt. Ein Bild, es setzt sich zusammen aus ihrer Erscheinung, umso mehr sie die Augen verschließt, hört sie die Tastatur als besäße jedes Zeichen einen anderen Ton, die Tastatur wird plötzlich zu einem Klavier. Es vermischen sich Eindrücke, leise hört sie ein medizinisches Gerät aus dem Nebenraum, es vermengen sich mit geschlossenen Augen die Eindrücke, ein Lied, nein es ist kein Lied, es ist eine Kulisse, sie steht inmitten einer Kulisse, alles sind Kulissen, sie möchte ihre Augen nicht öffnen. Es ist vermengt, sie möchte die Töne zusammenfügen zu einem Bild, sie möchte wissen welche Zeichen für welchen Ton im Raum stehen. Die Kulisse zerfällt, alles zerfällt in einen Piepton. Als sie die Augen öffnet, sitzt sie noch immer auf dem Stuhl, die Lautstärke der einzelnen Tasten der Computertastatur sind kaum noch auseinander zu halten. Sie schaut auf den Bildschirm.
Der Bildschirm berichtet: Die Datei wurde gespeichert. |
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Als unscharfer Umriss erscheint ihr ein Mann in der Tür, sie hört seine tiefe Stimme und wie er sich langsam setzt. Zwar wird das Gesagte laut ausgesprochen, doch erreichen Frieda nur einzelne Endungen, sie versucht die einzelnen Silben zusammenzufügen, doch bald gibt sie auf. Ihr Blick fällt nun auf einen Vorhang, der sich bewegt, leise hört sie das Rascheln des hellblauen Stoffs, doch plötzlich wird die Stimme lauter, ihr Gegenüber verändert sich, die unscharfen Umrisse des dunkelhaarigen Mannes verschwinden und sie hört die zuschlagende Tür. Die Türklinke bewegt sich wieder, es tritt ein weißgekleideter Mann ein.
Sie werden ihren Mund öffnen müssen, sagt der Fremde. Aus dem Fenster hört sie die Vögel, es scheint zu dämmern, wenig später verstummt auch dieser Mann, wieder versteht sie nur einzelne Silben, die vorherige Stimme vermengt sich mit der Stimme des weißgekleideten. Sie meint einen Unterschied in der Stimme wahrzunehmen, doch ist sie nicht sicher, um wen es sich handeln könnte. Ihr verschwommene Blick versucht das Fenster zu fokussieren, doch das Glas und der Rahmen, verbinden sich zu einer Einheit.
Wissen Sie an welchem Ort Sie sich befinden? Fragt der Weißgekleidete. |
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Frieda überlegt, ihr Erinnerung scheint auf dem Feld verloren gegangen zu sein, sie befindet sich an einem Ort, einem Ort mit Vorhängen, aus blauem Stoff, mit singenden Vögeln am sehr frühen Morgen, es ist ein geschlossener Raum. Sie versucht eine Antwort zu geben, auf diesen Ort, und ihr Mund scheint sich nur halb öffnen zu wollen.
Sie betrachtet wieder die Tür und versucht vorsichtig ihren Körper aus der Starre zu lösen, hier gäbe es zwei Türen, eine möchte sie wieder verschließen, sie steht auf nimmt ihr Hand und berührt die kalte Türklinke.
Sie dürfen nicht gehen, sagt der Weißgekleidete.
Frieda öffnet die Türklinke und möchte die Anwesenheit in diesem Gebäude verschließen, sie liest ein Schild, sie spürt in ihren Fingerspitzen die kalte und glatte Oberfläche des Messings. Die rote Schrift schmerzt in ihren Augen, sie liest psychiatrische Notaufnahme und wünscht sich an einen wärmeren Ort.
Sie müssen zurück kommen…, sagen die zwei Männer und führen sie zurück in den Raum mit den blauen Vorhängen, die sich immer noch bei offen Fenster leicht bewegen…
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Die Texte erschienen ebenfalls in der Reihe rote Faden Bücher Schattendruck. |
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