lauter niemand - bio - prosa - lyrik - poetik
2010
 
Kai Pohl
 
gedichte zum preis für politische lyrik 2010
 
Fuck 10
nach Gottfried Benn, Karl Marx und Benno Verch
 
        Eine Kakerlake kann ohne Kopf wochenlang überleben.
        Ein Esel versinkt in Treibsand, ein Maultier nicht.
        Das Quaken einer Ente erzeugt kein Echo.
        Pferde und Hasen können nicht kotzen.
        Krabben tragen ihr Herz im Kopf.
        Eine Stubenfliege summt in f.
        Moskitos haben Zähne.
 
Abhängen hinter Vorhängen,
die Vorgänge gehen nach,
Verträge vertragen sich überhaupt nicht,
die Geschichte verunreinigt sich selbst.
 
Molotow in der Cocktailbar
kappt den Moloch zum Molch.
Besser den Jetset ins All geschossen,
als der Restwelt ins Hirn geschissen.
 
Ein Dialekt macht noch keine Dialektik.
Die Metrik sitzt ethisch am Teetisch,
der faktisch kein Ficktisch ist,
allerhöchstens ein Fetisch.
 
Jedenfalls ist es Tatsache,
daß eine Tat keine Sache ist.
Jedenfalls ist Geld Dreck,
obwohl Dreck nicht unbedingt Geld ist.
 
Konzern respektiv Kombinat
gibt ein düsteres Konglomerat.
Konzentration gilt es auszusitzen,
bevor man ihr neue Lager baut.
 
Väter, Söhne, heilloser Scheiß,
und nicht nur die Zikaden
pfeifen auf Tiraden der Triaden,
pfeifen alle auf dem letzten Loch.
 
Der Musiker Benno Verch (Freygang, Herbst in Peking, Infamis) meinte in einem Kneipengespräch: "Die Geschichte reinigt sich selbst."
....Die dritte Strophe entstand in Anlehnung an den Fetisch-Teetisch-Reim von Gottfried Benn: "Als ihm graute, schuf er einen Fetisch, / als er litt, antstand die Pietà, / als er spielte, malte er den Teetisch, / doch es war kein Tee zum Trinken da." Vierte Strophe aus dem Gedicht Wirklichkeit, erschienen in Gottfried Benn. Gedichte in der Fassung der Erstdrucke. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M., 1999 (1982), S. 426.
...."Geld mag daher Dreck sein, obgleich Dreck nicht Geld ist." Karl Marx. Das Kapital. Ungekürzte Ausgabe nach der zweiten Auflage v. 1872. Paderborn, [ohne Jahresangabe], S. 98.
 
"Fuck 10" wurde veröffentlicht in der Zeitschrift Gegner, Heft 23, Juni 2008, S. 10.
 
 
Die Wahrheit bringt es auf den Punkt
 
Berlin, das Schmerzzentrum
der alten Welt, beim Senefelder
in Brachen getriebener Blockbau,
steinern grassiert die Angst vor der
 
Lücke, wo fruchtlos klamüsernd (Schutt
und Schande) unter Bäumen (Gras drüber)
Blagen und Köter sich balgen (Flucht verbaut)
mit jeder wiederhergestellten Straßenschlucht -
 
     Jeh doch nach drüben
     is jehuppt wie jesprungen.
     Die Bellizisten vom Palais bellen
     bis sie kotzen, schlimmer als Hunde
 
     scheren sie sich einen Dreck um ihre Haufen.
     Laptop, Salm und Milchkaffee ersticken
     die Revolution unter Heizpilzen,
     ob Oktober oder Mai -
 
         Jeh doch nach drüben
         is jehuppt wie jesprungen.
         Eher gibt es (schon wieder) Krieg,
         als daß hier jemand den Arsch hochkriegt.
 
Das Schmerzzentrum Berlin und das Palais Kolle Belle befinden sich in der Nähe des Senefelder Platzes in Berlin-Prenzlauer Berg.
 
 
Fraktaler Gesang
 
die bewegung (movement) des wassers
in dem moment wenn es anfängt
blasen zu schlagen (to boil)
 
im frühling weitet sich das licht
der mangel (lack) an wärme schwindet
aber der lack ist ab
 
ein mensch (human being) allein
auf dem humannplatz des himmlischen
friedens, berlin, peking (beijing)
 
die frostbeulen des schockgefrorenen
brathähnchens (ehemals broiler)
brutzeln im grill zu brandblasen
 
im flußtal (cañon) geht die kamera
(von canon) zu bruch, ein kanon
rettet die stimmung
 
lidl lohnt sich, lidl lohnt sich
geiz ist geil, geiz ist geil
bild dir deine meinung, bild dir deine meinung
ding ding dong, ding ding dong
 
"Der Fraktale Gesang" wurde veröffentlicht in der Zeitschrift Gegner, Heft 29, September 2009 S. 38.
 
 
 
gedichte zur poetik 2007
 
lichtspalt
 
gewölbte frucht
leib der sich teilt
bis zum großen durchbruch
zu den fragen des lichts
 
 
schattenfuge
 
schicht für schicht
die nacht abtragen
bis zum großen durchbruch
zu den fallen des nichts
 
 
DER TIBER IN ROM
 
der tiber in rom
geht über den jordan

vor vientiane
stockt der mekong

das tote meer stirbt
der po ist im arsch

der aralsee ist eine pfütze
an der tankstelle mühlenstraße

nach Joachim du Bellay