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lauter niemand - bio - prosa - lyrik - poetik |
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Stephan Heinrich |
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literaturlabor 07.10.2010 |
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Kopfausgeburten |
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Am Wiesengrund |
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Wiesengrundschwärme im Sinn
segelt einer zu unerahnten Ufern –
Der Humboldthain nicht fern
winken betuchte Gestalten am Gitter
Umnachtet in der eigenen Zelle
sind Alpträume der einzige Bettgenosse
während Transskriptionsströme in Glasfaserkabeln
den Kranken als Hirnersatz umschweben
Der Patient ist immer der Schuldige
unter dem Joch der selbstauferlegten Zweifel
Aber meine Stationskameraden sind keine Zeugen
Still löffeln sie die Suppe in sich hinein
Vor jedem ein Napf zum Austreten –
Fettaugenbrühen in Keramikschüsseln –
wie man gemeinhin von Fahrradfischen spricht:
Jeder Topf findet seinen Kessel
Abschaum in den Bettlakenfalten
Von den Wänden rieselt Blut
Entseelte Chimären wuseln auf den Gängen
Selbst der Einlauf wird zur Qual
Das Schafott wartet auf jeden, der sich selbst
für leidlose Zaungäste in den Vorgärten hinrichtet
Die Nacht der lebenden Toten beginnt wieder
Wer das Kissen über den Kopf zieht, ist schnell entleibt
Aber meine Stationskameraden bleiben stumm
Lautlos reden sie wie Irre vor sich hin
Vogelscheuchen nur in ihrer Einbildung denken sie:
Wer nach draußen kommt, ist gerettet
Stimmenzwitschern im Hirnschuttballast:
Die Intrusionen der Fremdgänger nehmen zu
bis man sich ganz im Arbiträren verliert –
zwischen den Gedankenstrichen bleiben nur Balken
Doch wir hier in den ehernen Sälen –
nicht viel besser als entzweites Geweih –
fristen unser Dasein im siechen Vegetieren
Schon zu Lebzeiten gesottet, ist das Fegefeuer
lediglich ein geruhsamer Herd, in dem Küken sterben
Was würde ich geben, dass die Geister
von mir ablassen, handzahm gesittet
von Wellenbrechern, die sich selbst verschlingen
So aber kosten wir die schwarze Milch der Euter
die im eigenen Sud Findlinge ersticken
Wildschweine aus Trotz, wildern wir in fremden Gefilden –
Ein borstiger Eber mit gekringelten Schneidezähnen
thront über der Hirschkuh mit dem gesprungenen Ei
Aber auch dieses Bild will entschlüsselt werden
Die Ursuppe entgleitet unaufhörlich unseren Fingern
und doch schreitet die Zeit grausam voran
In Wirklichkeit waren es wohl doch eher Nudeln
Buchstaben aus Teig geknetet zum gegenseitigen Genuss
Doch der Kastrationskomplex macht nicht beim Schwanz Halt
Die Gefährten halten sich währenddessen die Ohren zu
Was noch zu sagen wäre: Es gibt ein Rätsel
in allen Dingen, das sich nicht von selbst chiffriert
Man bräuchte nur Hand anzulegen und schon
wäre der triste Sensemann aus der Welt verschwunden |
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Grabsteine |
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Ängstlich schwärmen die Sinne, wenn der Atem stockt
Wer nicht auf Abwege gelangen will, sollte nicht einhalten
Nur wer beständig schreitet, gelangt zur Entelechie
Doch wie ist es mit den Nesthäkchen in den Maulkörben:
Werden auch sie von unsichtbaren Haken geklammert?
Krähenfüße werden in die Augen gehackt, die zu viel sehen
Auch der Fernseher läuft ohne Unterlass: Ferne Nachrichten
werden auf Kurztext gesprochen, um die Tauben zu füttern
Währenddessen legen die Chirurgen Hand an und entfernen
Mark und Gebein aus den haltlosen Röhren, die summen
Zu Zahlenkolonnen aufsummiert als Tautologie deklariert
werden die Importe leicht zu wohlfeilen Emanationen
Magnete stecken in den Köpfen der Roboter, die Inzucht
mit geselliger Betriebsamkeit vergelten: Nur zum Schein
werden die neuen Gefährten in vitro neu fertilisiert
Die Spezies der akustischen Phänomenologen, die Stimmen
hören, anstatt sie in der Muschel zum Schweigen zu bringen
ist neuerdings weit verbreitet: In den ätherischen Gefilden
schweben entthronte Prinzessinnen und verwaiste Königskinder
Ausgesetzt in Körben aus Schilfrohr, flüstern sie ihre Botschaften
zu den Aasgeiern unter den Leichenfledderern, die am liebsten
in den Eingeweiden wühlen, um Gewürm zu Tage zu bringen
Doch auch die wesenlosen Gesellen sind zumeist höchst gefällig
Sie schwadronieren über Wohlfahrt und persönliches Heil
Um den Arm nicht zum morgendlichen Gruß heben zu müssen
Bestückt mit Prothesen wanken sie ihres einsamen Weges
um am Ende in vergeblicher Liebesmühe einzuhalten
Vielleicht ist es doch nur ein Schrei nach Aufmerksamkeit
Keiner kann ohne beliebige Entgegnung im Nichts ausharren
Ist man erst einmal tot, folgen die Epitaphe von selbst |
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literaturlabor 29.10.2006 |
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Das deutsche Wesen |
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Das deutsche Wesen liegt am Boden
bleichhäutig, geschunden
mit grauem Auge, gläsernem Blick
entleibt, gevierteilt
entterritorialisiert, "vergrenzt"
Blaue Hünen haben sich am deutschen Gedankentum vergriffen
mit eiserner Faust, kruppstahlgestählt
in Wehrmachtsuniform, als SS-Chargen
von NS-Ideologie getrimmt, mit SA-Chic versehen
von der Gestapo verhört, von der Stasi bespitzelt
vom BKA überwacht, hörig gemacht
Das deutsche Wesen liegt am Boden
blauäugig, blondbezopft
mit Hitlerbärtchen, Nazi-Scheitel
Judentolle, Schläfenlocken
verschickt, deportiert, gedrillt
Die braune Flut schwappt wieder höher
Braune Männchen schwimmen in der deutschen Brühe
Die Landschaft wird neu tapeziert
mit Kleister und Bindfaden
mit Leim und Gemüll
Wo ist der deutsche Geist geblieben?
Niedergetrampelt, verstoßen
verlacht, diskreditiert
entsorgt, verschlissen
mit Schmährufen bedacht, verschüttet, verleugnet
Das deutsche Wesen liegt am Boden
halb aufrecht, halb kriechend
auf allen Vieren, niedergestreckt
sich vorwärtswindend wie ein Aal
auf dem Trockenen, in Sicherheit
fertig zum Schlachtfest
Bald hat sich das Ungeheuer wieder erhoben
trampelt torkelnd über die blühenden Wiesen des Ostens
die blühenden Landschaften der Satrapen
im Handgemenge, im Ringelreihn
im Faustkampf, mit Kanone und Haubitze
Bald fassen sich die Völker wieder bei den Händen
und tanzen den Kosakenblues
den Chinesen-Rap, den Islamisten-Rock'n Roll
den Negerwalzer im Bundeskabinett
Der Reichstag tanzt und wankt - der Kongreß ruft!
Das deutsche Wesen liegt am Boden und windet sich
wie eine Schlange auf allen Vieren
Eine Eidechse, der der Schwanz nachwächst
Ein Wurm, der zweigeteilt doppelt lebt
Ein Nichts, das von selbst verweht
Das deutsche Wesen - lebt! |
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Nationalfeiertag |
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Es ist wieder Nationalfeiertag - stellt eure Gläser raus!
Noch tröpfelt es: Bald weht es wieder
Bald acht es wieder; bald kracht es schön.
Stellt eure Gläser raus: Flaschen hat man nie genug.
Schenkt euch ein: Kauft reinen Wein
Schenkt eurem Nachbar ein, solang er lebt
Schenkt euch reinen Wein.
Das Blut des Rebensafts fließt leichter im Gemüt
als 40 vergaste Juden
40 liebende Schwestern wünsche ich euch zur Seite
und Pfleger, die euch pflegen: Im KZ
Schon klirrt es wieder, die Glocken klingen
Stimmt das Lied, stimmt die 3 Strophen an:
Vom Ural bis an den Kaukasus
Von Abu Dhabi bis zur Walachei
Vom Mond bis zu den Sternen sollen unsere Grenzen sein! |
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literaturlabor 07.05.2006 |
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Bildschirme |
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Über dem Bildschirm flackert ein Licht,
das die Vergangenheit entrückt.
Die Mauer kommt näher.
In den Köpfen sieht man es nicht.
Zeitwände umgeben die Stimmen,
die über Schatten gehen.
Wenn man über die Kanäle springt,
pflastern Leichen den Weg.
Der Strand ist nicht weit.
Von ferne ruft eine Hand,
weißbetucht. Dazu schreitet keiner.
In den Häusern Menschen, sprachlos,
Kranke drücken die Knöpfe.
Blaukittel in den Schaltzentralen.
Die Hebel bewegen sich ohne Zutun.
Auf den Tischen Kadaver, stumm,
und spreizen die Beine.
Der Aderlaß kennt keine Grenzen.
Der Tod und die Stadt halten Einkehr.
Leute fahren sich über's Gesicht.
Über den Sender, verdrahtet, der alte Müll.
Unter den Sälen entsorgte Spender.
Ausgemalt das Entsetzen, wenn
der Empfang sich verflüchtigt. |
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Zaungäste |
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Zaungäste, übereinandergestaffelt
in den Baumkronen. Kristallklar die
Nacht. Ein fernes Wehen von drüben
her geht über die Köpfe hinweg.
Über den Grat wandernde Gestalten,
angeschnitten in der Dunkelheit, ein
gefälliges Flanieren über den Todesstreifen.
Für einen Moment ruhen die Meißel.
Ein unbeholfener Fuß tritt daneben.
Das Klirren eingestampften Glases
zergellt an den Wänden. Eine Hand
hangelt sich am Kragen hinab.
Unter der Mondsichel versöhnliche Gesten.
Gedudel schlägt sich an der Mauer nieder.
Ausgegraben die Sprengsätze,
wirft man Gebein hinter sich.
Eine Strophe ehern angestimmt,
plärrt leises Getändel durch die Nacht.
Leuchtkörper jagen in die Luft.
Im Widerschein flackernde Gesichter.
Die Stille zerteilt rhythmisches Hämmern.
Hartnäckig hält sich das Sirren
eines Transisterradios in der Schwebe.
Im Vierteljahrdunderttakt wird die Erde
gewendet. Die Toten drehen sich nicht um,
wenn man sie ruft. Lieder ertönen, dazu Gesänge. |
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Verfallserscheinungen |
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Aufgebahrt Leichenberge, Im Kühlschrank
Wohlfeile Innereien, Zu Dumpingpreisen
In der Organbank, Lächelnd aufgezüchtet,
Auf Webeplakaten UV-Lichtbestrahlt
Das Schlachtvieh, Säuberlich herausgeputzt
Für den Fototermin, Am Fließband herbeigekarrt,
An der Warteschlange der Konsumenten,
im Kaufrausch Vorbei, Im Lampenfieber
Schnittlinienförmig Paradierend, den Beischlaf
der Potentiaten gezollt, emetische Auswüchse
verzückter Autophagie, im Triebstau erstickt,
Angepriesen Im Schlachthaus TraumArbeitSPlätze-/
Gewinnbringend Am Discountmarkt Verhökert
Stöhnen Die Warenartikel Gezielt lusterzeugt
Beim Decken; Bevor man sie kopflos mit gepreßten
Achselfalten Im Schnelldurchlauf abschiebt; Spritzen
Handlich ®ecycle-t, Marktführer inexklusive
In Verpackungen Bereit-Gestellt Keuchend/ Zum Kauf
Gelockt/Fallen In der Wurstabteilung LebensMittel-
Lose Sektionsgehilfen Stellen-Gesuche In den Händen
Mit den Gedärmen Um den Hals Pro(t)zent
Vom Regal Über Manipulationsträchtige Dosen Her(-)
ZuRecken Stylisiert, in Katalogen gefaltet, auf Hochglanz
poliert, aufgewärmt wieder für die Ausfuhr bestimmt,
als Eingemachtes in der Speisekarte dem Zeitgenossen,
Verfallsdatum inbegriffen, gaumenhart zubereitet
ständig in unberührtem Reinzustand im Netz abtastbar,
nachfragekontrolliert ohne essentielle Verluste,
tausendfach reproduziert, risikolos und unter der Hand
Nach Bestellung als Hausmannskost ausgeweidet
für eingefleischte Sarkophagen spurenlos elementar zerteilt:
wären Die Überreste ansonsten im Hungerstreik verwest. |
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