Vielleicht
ist alles in der Welt gedreht? Atome, Moleküle, Kristalle ebenso wie
Schneckenhäuser oder Zweige in ihrem Ansatz am Baum. In Spiralen
wickeln sich die aus den Wirbeln kommenden Nerven zu Arm und Bein. Das
Spermium dreht sich durch den Eileiter, vom Augenblick der Zeugung an
wachsen wir in Symmetrien und Spins. Planeten, Sterne und Galaxien: sie
drehen.
Die Stimme: Luft wird eingesogen, ausgestoßen, dringt in den
Raum, baut Wellen, dreht sich an Luftschwaden hinauf, herab, nach vorn.
Schraubt sich in den Raum, ins Ohr.
Die eigene Stimme: vielfach
gefordert. Doch wer weiß, was das ist? Oder arbeiten wir uns auf einen
Zustand der post-lyrics zu (analog zu post-gender): zu auf den Genuss
des Gekreuzten, Gemischten? Denken an etwas wie transvoicing? Ein sich
ablösen vom „Eigenen“ - nicht auf Fremdes hin, sondern auf etwas, das
aus diesen Kategorien springt?
Gedicht: Anderem, Unerhörtem,
eine Stimme geben. Es passieren lassen. Nicht einen Algorithmus finden,
der „die Welt“ in Sprache übersetzt, sondern mehrere, miteinander
erklingende Algorithmen. Jedes „Erlebnis“ hat sein eigenes Gesetz. Es
beruht auf ihm und bringt es zugleich hervor.
Wenn die
lebendige Welt Gedrehtes ist, dann wird, was später „Gedicht“ sein
will, daraus übersetzt. Hilfsweise läßt sich sagen: dank eines
Algorithmus. Er ist die kleine Maschine des Gedichtes, die man nicht
sieht. Oder doch sieht, aber nur in ihrem Produkt - sie, die nichts als
dieses Produkt ist, erfahrbar aber „in der Dichte“ des Gedichtes, in
seinem Rhythmus, Klang. Als dieses „andere“ (Maschine), das die
Verbindung zwischen Erlebnis, besser: Wahrgenommenem (dem „Echten“ oder
Realen“) und der Sprachhervorbringung erzeugt.
Drei Akte
also: Wahrnehmung, Spracherzeugung, Gedicht. Wahrnehmung, die
ihrerseits Spracherzeugung erzeugt. Sie ver-ant-wortet, wie man im
Deutschen sagen kann. Wahrnehmung ihrerseits geschieht „in“ jemandem.
Hirn, Psyche, Seele. Der Algorithmus, der die Spracherzeugung je nach
der Wahrnehmungsweise „informiert“ (im Sinn von „prägt“), sitzt also
nicht nur ebenfalls in diesem „in“, sondern muß an allem, was an
Wahrnehmung beteiligt ist, seinerseits beteiligt sein. Psyche, Seele,
Gehirn.
Gedicht: Sprache, die sich aus der Verbindung zwischen
Wahrnehmung und Wahrnehmung als Teil des spezifischen Spins dieser
Wahrnehmungen - ihrer Gangart, ihrer absplitternden Funken - erzeugt
und erhält.
Kompliziert. Meine Güte! Muß das sein?
Anscheinend.
Anscheinend funktionieren „wir“ so. Zumindest, wenn wir uns selbst
ansehen und fragen: wie machen wir, denken, fühlen wir? Weil wir auf
uns selbst blicken, ergibt sich „der Dreh“. Er ist die Spur unserer
Aufzeichnung bei uns selbst.
Bei Gedichten: erscheint er als
Dreh (oder Spin) des sinnlichenVerarbeitungsapparates in den
Sprachapparat. Er „geht über“ und informiert das Gedicht: drückt es in
seine Form, die zugleich eine Nachricht ist.
Der Spin der Wahrnehmung, der sich in Sprache übersetzt, gibt dem Gedicht, was zu wissen sich (für es) lohnt.
Postlyrics
beruhen auf der Dichtungstradition. Doch sie sind nicht mit ihr
identisch. Etwa: spielen mit dem Gedichtanspruch der 70er Jahre
(Alltagsdinge, Realismus, politische Botschaft) und kippen ihn.
Postlyrics
sind „post“ in Relation zum System der Poesie: dem Staatsdichterwesen,
dem Beraterdichtertum, den dichterischen (Männer)Kronen.
Lustvoll in der Rolle, die eine Zuschreibung ist - und als solche gezeigt wird.
Sie sind in etwas und zugleich außerhalb. Ihr Ziel ist eine Unmöglichkeit.
Damit die Figur einer Entstehung sichtbar wird. Als Erschriebenes.
Um als Wirklichkeit zu wirken.
Weil da ein Mensch spricht
von etwas, das stets um seine Krümmungen fließt
das sich verschattet
selbst beschattet
erhellt
nur als Figur in der Zeit entsteht: wer wir sind
|