gedichtbeispiele
 
"OPHELIA" - 4. lauter niemand preis für weltsame lyrik
 
William Shakespeare (1564-1616)
Hamlet III, 5 (0)
 
Personen:
Gertrude, Königin von Dänemark und Hamlets Mutter
Polonius, Oberkämmerer und Vater Ophelias
Hamlet, Sohn des vorherigen und Neffe des jetzigen Königs


Königin. Habt Ihr mich ganz vergessen?
Hamlet. Nein beim Kreuz!
     Ihr seid die Königin, Weib Eures Mannes Bruders,
     Und – wär` es doch nicht so! – seid meine Mutter.
     Königin. Gut, andre sollen zur Vernunft Euch bringen.

Hamlet.
     Kommt, setzt Euch nieder; Ihr sollt nicht vom Platz,
     Nicht gehen, bis ich Euch einen Spiegel zeige,
     Worin Ihr Euer Innerstes erblickt
.
Königin.
     Was willst du tun? Du willst mich nicht ermorden?
     He, Hilfe! Hilfe!

Polonius (hinter dem Vorhang). Hilfe! he! herbei!
Hamlet. Wie? was? eine Ratte? (Er zieht)
                                                   Tot! Für ´nen Dukaten, tot!
     (er tötet Polonius mit einem Stoß durch den Vorhang).

Polonius (hinter dem Vorhang).
     O ich bin umgebracht!
Königin. Weh mir! Was tatest du?

Hamlet. Fürwahr, ich weiß es nicht: ist es der König?
 
 
William Shakespeare (1564-1616)
Hamlet IV, 7 (0)
 
Königin. Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach
     Und zeigt im klaren Strom sein graues Laub,
     Mit welchem sie phantastisch Kränze wand
     Von Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Kuckucksblumen,
     Die lose Schäfer gröblicher benennen,
     Doch zücht'ge Jungfraun tote Mannesfinger;
     Dort, als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde
     An den gesenkten Ästen aufzuhängen,
     Zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen
     Die rankenden Trophäen und sie selbst
     Ins weinende Gewässer. Ihre Kleider
     Verbreiteten sich weit und trugen sie
     Sirenen gleich ein Weilchen noch empor,
     Indes sie Stellen alter Hymnen sang,
     Als ob sie nicht die eigne Not begriffe,
     Wie ein Geschöpf, geboren und begabt
     Für dieses Element. Doch lange währt' es nicht,
     Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,
     Das arme Kind von ihren Melodien
     Hinunterzogen in den schlamm‘gen Tod.

    ...
 
 
Arthur Rimbaud (1854 - 1891) (Übertragung von Karl Klammer)
Ophelia (1) (2)
 

I.
Auf stiller, dunkler Flut, im Widerschein der Sterne,
geschmiegt in ihre Schleier, schwimmt Ophelia bleich,
sehr langsam, einer großen weißen Lilie gleich.
Jagdrufe hört man aus dem Wald verklingen ferne.

Schon mehr als tausend Jahre sind es,
dass sie, ein bleich Phantom, die schwarze Flut hinzieht,
und mehr als tausend Jahre flüstert schon sein Lied
ihr sanfter Wahnsinn in den Hauch des Abendwindes.

Die Lüfte küssen ihre Brüste sacht und bauschen
zu Blüten ihre Schleier, die das Wasser wiegt.
Es weint das Schilf, das sich auf ihre Schulter biegt.
Die Weiden über ihrer hohen Stirne rauschen.

Im Schlummer einer Erle weckt sie hin und wieder
Ein Nest, aus dem ein kleines Flügelflattern schlägt.
Die Wasserrosen seufzen, wenn sie sie bewegt.
Ein Weiheklang fällt von den goldnen Sternen nieder.

II.
Ophelia, bleiche Jungfrau, wie der Schnee so schön,
die du, ein Kind noch, starbst in Wassers tiefem Grunde:
weil dir von rauer Freiheit ihre leise Kunde
die Stürme gaben, die von Norwegs Gletschern wehn.

Weil fremd ein Föhn, der dir die Haare peitschte, kam
Und Wundermär in deinen Träumersinn getragen;
weil in dem Seufzerlaut der Bäume und im Klagen
der Nacht dein Herz die Stimme der Natur vernahm.

Weil wie ein ungeheures Röcheln deinen Sinn,
den süßen Kindersinn, des Meeres Schrei gebrochen;
weil schön und bleich ein Prinz, der nicht ein Wort gesprochen,
im Mai, ein armer Narr, dir saß zu deinen Knien.

Von Liebe träumtest du, von Freiheit, Seligkeit;
du gingst in ihnen auf wie leichter Schnee im Feuer.
Dein Wort erwürgten deiner Träume Ungeheuer.
Dein blaues Auge löschte die Unendlichkeit.

III.
Nun sagt der Dichter, dass im Schoß der Nacht du bleich
die Blumen, die du pflücktest, suchst, in deine Schleier
gehüllt, dahinziehst auf dem dunklen, stillen Weiher,
im Schein der Sterne, einer großen Lilie gleich.

 
 
Georg Heym (1887 - 1912)
Die Tote im Wasser (1) (2)
 

Die Masten ragen an dem grauen Wall
Wie ein verbrannter Wald ins frühe Rot,
So schwarz wie Schlacke. Wo das Wasser tot
Zu Speichern stiert, die morsch und im Verfall.

Dumpf tönt der Schall, da wiederkehrt die Flut,
Den Kai entlang. Der Stadtnacht Spülicht treibt
Wie eine weiße Haut im Strom und reibt
Sich an dem Dampfer, der im Docke ruht.

Staub, Obst, Papier, in einer dicken Schicht,
So treibt der Kot aus seinen Röhren ganz.
Ein weißes Tanzkleid kommt, in fettem Glanz
Ein nackter Hals und bleiweiß ein Gesicht.

Die Leiche wälzt sich ganz heraus. Es bläht
Das Kleid sich wie ein weißes Schiff im Wind.
Die toten Augen starren groß und blind
Zum Himmel, der voll rosa Wolken steht.

Das lila Wasser bebt von kleiner Welle.
- Der Wasserratten Fährte, die bemannen
Das weiße Schiff. Nun treibt es stolz von dannen,
Voll grauer Köpfe und voll schwarzer Felle.

Die Tote segelt froh hinaus, gerissen
Von Wind und Flut. Ihr dicker Bauch entragt
Dem Wasser groß, zerhöhlt und fast zernagt.
Wie eine Grotte dröhnt er von den Bissen.

Sie treibt ins Meer. Ihr salutiert Neptun
Von einem Wrack, da sie das Meer verschlingt,
Darinnen sie zur grünen Tiefe sinkt,
Im Arm der feisten Kraken auszuruhn.

 
 
Georg Heym (1887 – 1912)
Ophelia  (1) (2)
 

Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,
Und die beringten Hände auf der Flut
Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten
Des großen Urwalds, der im Wasser ruht.

Die letzte Sonne, die im Dunkel irrt,
Versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein.
Warum sie starb? Warum sie so allein
Im Wasser treibt, das Farn und Kraut verwirrt?

Im dichten Röhricht steht der Wind. Er scheucht
Wie ein Hand die Fledermäuse auf.
Mit dunklem Fittich, von dem Wasser feucht
Stehn sie wie Rauch im dunklen Wasserlauf,

Wie Nachtgewölk. Ein langer, weißer Aal
Schlüpft über ihre Brust. Ein Glühwurm scheint
Auf ihrer Stirn. Und eine Weide weint
Das Laub auf sie und ihre stumme Qual.

 

Korn. Saaten. Und des Mittags roter Schweiß.
Der Felder gelbe Winde schlafen still.
Sie kommt, ein Vogel, der entschlafen will.
Der Schwäne Fittich überdacht sie weiß.

Die blauen Lider schatten sanft herab.
Und bei der Sensen blanken Melodien
Träumt sie von eines Kusses Karmoisin
Den ewigen Traum in ihrem ewigen Grab.

Vorbei, vorbei. Wo an das Ufer dröhnt
Der Schall der Städte. Wo durch Dämme zwingt
Der weiße Strom. Der Widerhall erklingt
Mit weitem Echo. Wo herunter tönt

Hall voller Straßen. Glocken und Geläut.
Maschinenkreischen. Kampf. Wo westlich droht
In blinden Scheiben dumpfes Abendrot,
In dem ein Kran mit Riesenarmen dräut,

Mit schwarzer Stirn, ein mächtiger Tyrann,
Ein Moloch, drum die schwarzen Knechte knien.
Last schwerer Brücken, die darüber ziehn
Wie Ketten auf dem Strom, und harter Bann.

 

Unsichtbar schwimmt sie in der Flut Geleit,
Doch wo sie treibt, jagt weit der Menschenschwarm
Mit großem Fittich auf ein dunkler Harm,
Der schattet über beide Ufer breit.

Vorbei, vorbei. Da sich dem Dunkel weiht
Der westlich hohe Tag des Sommers spät.
Wo in dem Dunkelgrün der Wiesen steht
Des fernen Abends zarte Müdigkeit.

Der Strom trägt weit sie fort, die untertaucht,
Durch manchen Winters trauervollen Port.
Die Zeit hinab. Durch Ewigkeiten fort,
Davon der Horizont wie Feuer raucht.

 
 
Gottfried Benn(1886 – 1956)
Schöne Jugend  (1)
 
Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte,
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löcherig.
Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die andern lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!

 
 
Bertolt Brecht (1898 – 1956)
Vom ertrunkenen Mädchen  (1)
 
Als sie ertrunken war und hinunterschwamm,
von den Bächen in die größeren Flüsse,
schien der Opal des Himmels sehr wundersam,
als ob er die Leiche begütigen müsse.

Tang und Algen hielten sich an ihr ein,
so dass sie langsam viel schwerer ward.
Kühl die Fische schwammen an ihrem Bein.
Pflanzen und Tiere beschwerten noch ihre letzte Fahrt.

Und der Himmel ward abends dunkel wie Rauch
und hielt nachts mit den Sternen das Licht in der Schwebe.
Aber früh ward es hell, dass es auch
noch für sie Morgen und Abend gebe.

Als ihr bleicher Leib im Wasser verfaulet war,
geschah es (sehr langsam), dass Gott sie allmählich vergaß.
Erst ihr Gesicht, dann die Hände und zuletzt erst ihr Haar.
Dann ward sie Aas in den Flüssen mit vielem Aas.

 
 
Peter Huchel (1903 - 1981)
Ophelia (1)
 
Später, am Morgen
Gegen die weiße Dämmerung hin
Das Waten von Stiefeln
Im seichten Gewässer,
Das Stoßen von Stangen,
Ein raues Kommando,
sie heben die schlammige
Stacheldrahtreuse.

Kein Königreich,
Ophelia,
wo ein Schrei
das Wasser höhlt,
ein Zauber
die Kugel
am Weidenblatt zersplittern lässt.

 
 
Weitere Gedichte oder Dichter zum Thema:
 
Christoph Meckel: Ophelia
Bei Walter Hinck:Vom Tod in der Stacheldrahtreuse
 
Quellenangaben:
(0)
William Shakespeare: Hamlet, Prinz von Dänemark. Reclam Verlag Ditzingen 1969.
 
Die Gedichte sind folgenden im Internet veröffentlichten Arbeiten zum Thema als Zitat entnommen:
(1)
Mag. Brigitte Poppernitsch (BRG Spittal / Drau): Expressionismus. Vergänglichkeit und Verfall.
URL: http://vdeutsch.eduhi.at/literatur3/ex_verfall_vtfg.htm#Shakespeare
(Abruf am 11.03.2009).
(2)
Barbara Glöckler: Ophelia  und  die  Wasserleichen. Die Rimbaud-Rezeption im deutschen Expressionismus.
URL:http://www.erlangerliste.de/express/expres3.html#T3
(Abruf am 11.03.2009).
 
Mit den gewählten Großzitaten aus den oben genannten Arbeiten werden keinerlei kommerziellen Zwecke verfolgt und sie dienen einzig dazu auf eben diese Arbeiten und die darin zitierten Dichter hinzuweisen. Sollte der lauter niemand e.V. wider Erwarten Rechte von Verlagen oder Autoren verletzen, werden die entsprechenden Inhalte sofort von dieser Seite genommen werden.